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Lasst euch nicht abhalten! Auf geht´s mit Erasmus+ nach Kanada

Eine BWL- Master-Studentin der Universität Potsdam hat sich von ihrer chronischen Erkrankung nicht abhalten lassen ins Ausland zu gehen. Hier berichtet sie von der Planung und Durchführung ihres Auslandssemesters an der Memorial University of Newfoundland in St. Johns, Kanada

Vorbereitung des Auslandsaufenthalts mit chronischer Erkrankung

Nach der Bewerbung für mein Auslandssemester an der Memorial University of Newfoundland (MUN) fing ich direkt mit der Vorbereitung des Aufenthalts an. Zusätzlich zu den regulären Online-Informationsveranstaltungen des International Office holte ich mir weitere Infos zu verfügbaren Stipendien ein und las Erfahrungsberichte von früheren Teilnehmern, was sich als äußerst hilfreich erwies.

Neben wichtigen Informationen zu den Aufenthaltsbestimmungen erfuhr ich auch einiges über die Infrastruktur der Universität und den medizinischen Einrichtungen vor Ort. Besondere Beachtung sollte der medizinischen Versorgung geschenkt werden. Die Überprüfung des Impfstatus vor Abreise und die Sicherstellung ausreichender Medikamente sind wichtig, da es vor Ort möglicherweise schwierig sein kann, ein Rezept zu erhalten. Positiv möchte ich die Walk-In Clinic auf dem Campus hervorheben, die für kleinere gesundheitliche Anliegen stets erreichbar war.

Für einen Aufenthalt von weniger als sechs Monaten in Kanada benötigte ich lediglich eine elektronische Einreiseerlaubnis, die schnell organisiert werden konnte. Die frühzeitige Organisation der Unterkunft ist ratsam, da auch in St. John’s Wohnraum knapp ist.

Ein Langzeitaufenthalt in einem Land wie Kanada kann als chronisch-kranke Person herausfordernd sein und erfordert einiges an organisatorischer Planung. Aber es ist gut zu wissen, dass ein Auslandssemester dennoch möglich ist und es viele Menschen und Ansprechpersonen gibt, die einem in diesen Angelegenheiten tatkräftig zur Seite stehen.

Zuerst einmal ist es ratsam, sich mit dem/der behandelnden Arzt/Ärztin in Deutschland zu besprechen und zu sehen, ob ein Auslandsaufenthalt möglich ist und ob es eine passende medizinische Einrichtung vor Ort gibt. In meinem Fall half meine Ärztin mir und organisierte die Kontaktdaten eines Facharztes in St. John’s. Hier ist es wichtig, sich frühzeitig um einen Termin zu kümmern, denn Fachärzte dort haben einen ebenso vollen Terminkalender, wie man es auch aus Deutschland kennt. Des Weiteren gab sie mir alle relevanten Informationen schriftlich mit, sodass der Arzt vor Ort mit Hilfe des Arztbriefes über Medikation und Diagnose Bescheid wusste.

Man ist über die MUN versichert, es bietet sich aber im Einzelfall an, eine weitere Auslandskrankenversicherung abzuschließen, um beispielsweise einen Rücktransport im Notfall und anderweitige besondere medizinische Bedürfnisse abzusichern. Medikamente werden nur bis zu einer bestimmten Höhe von der Krankenkasse übernommen, in meinem Fall wurde ein Teil der Kosten durch die Bemühungen meines Arztes vor Ort durch einen Hilfsfond eines Pharmaunternehmens übernommen. Den Rest des Betrags habe ich privat vorgestreckt und das Geld durch den Realkostenzuschlag der Erasmusförderung wieder zurückbekommen. Hierzu reichte ich vor Reiseantritt einen Antrag auf finanzielle Zusatzförderung für Geförderte mit chronischer Erkrankung der NA DAAD ein, bei dem mir die Mitarbeiterinnen des International Office der Universität Potsdam halfen. Es müssen einige Unterlagen eingereicht werden, um die man sich rechtzeitig kümmern sollte.

Das Studium an der MUN hat mir sehr gut gefallen, es war unheimlich interessant die kanadische Perspektive auf Marketing und Betriebswirtschaftslehre kennenzulernen. Ich belegte während meiner Zeit dort drei Kurse. Dies kann ich jedem ans Herz legen, denn der Workload ist nicht zu unterschätzen. Ich besuchte „Marketing for Sustainability“, „Marketing“ und „Ethics“, alle drei Kurse wurden von sehr kompetenten und erfahrenen Professoren gehalten, denen man den Spaß an ihren jeweiligen Fächern angemerkt hat. In den Kursen des MBAs saßen wir mit zumeist 30 Studierenden, die den unterschiedlichsten Nationalitäten angehörten. Dies führte besonders im Ethik-Kurs zu der ein oder anderen interessanten Diskussion. Besonders der Austausch zwischen den Studierenden wurde vielfach gefördert und die Mitarbeit im Kurs zum Teil benotet. Weiterhin schrieb ich pro Fach mehrere Klausuren und es gab über das Semester verteilt Gruppenarbeiten und Hausarbeiten. Es wurde fair benotet und es herrschte ein angenehmes Studienklima.

Für Fragen waren die Lehrpersonen immer zu erreichen, auch die Mitarbeitenden des Büros für Masterstudierende waren besonders bei der Kursfindung sehr hilfsbereit und so gelang es mir innerhalb der ersten Studienwoche, mit den Ansprechpersonen des Büros und der Beraterin für ausländische Studierende, meinen Stundenplan zu erstellen.

Um für die Kurse zu lernen gibt es im Business-Gebäude eine Graduate Studies- Lounge, die von Masterstudierenden genutzt werden kann. Weiterhin ist auch die Bibliothek ein beliebter Ort, der mit einem Café im Erdgeschoss zu Lernpausen mit den Kommilitonen einlädt. Die Bibliothek bietet zudem Gruppenarbeitsräume und Computer- und Druckerplätze an, die von allen genutzt werden können.

Die Kontaktsuche gestaltete sich sehr mühelos. Ich wohnte auf dem Campus im Hatcher-House, einem Wohnheim für etwas ältere Studierende und Masterstudierende. Dort gab es direkt zu Anfang ein Kennenlern-Treffen und ich fand auf Anhieb sehr gute kanadische Freundinnen. Ein paar Tage später gab es das erste Treffen im International Office, bei dem ich auf weitere Austauschstudierende traf. Diese kamen aus der ganzen Welt, überwiegend jedoch aus Europa. Alle waren super aufgeschlossen und nach dem ersten Treffen liefen wir direkt rüber zum Long Pond, einem See auf dem Campus, um einen schönen Nachmittag in der Sonne zu verbringen. Jede Person hatte Lust etwas zu unternehmen und gemeinsam ein schönes Semester zu verbringen und so fand ich eine großartige Freundesgruppe, mit der ich gemeinsam lernte, Ausflüge unternahm, im Breezeway, der Campusbar zum Billardspielen ging, und mit der wir am Wochenende die Innenstadt besuchten.

Ich kann jedem Austauschstudierenden empfehlen, nehmt die Angebote des International Office an und quatscht die Kommiliton/innen in den Kursen an. Die Neufundländer/innen sind sehr aufgeschlossene und hilfsbereite Menschen, die sich über jeden Austausch freuen.

Meine Sprachkompetenz hat sich innerhalb des Semesters definitiv verbessert. Besonders durch den Kontakt zu meinen kanadischen Freunden konnte ich die ein oder andere Redewendung und auch viele informelle Vokabeln und Slang-Wörter erlernen. Auch die Kommunikation mit Austauschstudierenden mit anderem Sprachlevel förderte meine Ausdrucksweise. Zudem muss man sagen, dass Neufundländer/innen sehr schnell sprechen und teilweise ihren eigenen Dialekt haben, woran man sich aber schnell gewöhnt. Durch die Hausarbeiten und einige Case-Studies die für die Kurse geschrieben bzw. gelesen werden sollten, eignete ich mir zusätzliche Vokabeln an.

Wohn- und Lebenssituation

In St. John’s lebte ich, wie im obigen Abschnitt bereits erwähnt, auf dem Campus. Diese Erfahrung kann ich jedem wärmstens ans Herz legen, denn das Campusleben bietet einige Vorteile. Neben der Verpflegung in der Dining Hall ist auch die kurze Distanz zu allen Universitätsgebäuden, die bei schlechtem Wetter über sogenannte „Munnels“, also Tunnelsysteme erreicht werden können, eine super Sache. Über das Housing-Portal bewarb ich mich zeitnah nach meiner Zusage und konnte mir ein Einzelzimmer im Hatcher House sichern. Dieses Zimmer bestand aus zwei Einzelbetten, zwei Kommoden und Schreibtischen mit jeder Menge Staufläche auf ca. zwölf gemütlichen Quadratmetern. In meinem Stockwerk gab es ein gemischtes Bad, ein Stockwerk höher gab es geschlechtergetrennte Waschräume, eine Küche und einen Gemeinschaftsraum mit TV und Soccer-Tisch.

Bei Einzug fand ich in dem Zimmer bis auf die Matratze nichts vor, daher führte der erste Gang eines jeden neuen Bewohners zu Walmart, um dort Bettdecke, Kissen, Bettwäsche, Kleiderbügel, Handtücher und weitere Dinge zum Leben zu besorgen.

Auf der gegenüberliegenden Seite meines Hauses, getrennt durch einen Basketballplatz und einer schönen Fläche mit Picknicktischen, an denen man im Sommer Karten spielen und sich sonnen kann, befand sich die Dining Hall. Diese öffnet jeden Tag von 7 bis 20 Uhr und bot allerlei Speisen und Getränke, die überraschend genießbar waren. Von asiatischem Essen, über eine Pizza-Station, eine Salatbar, Sandwiches und vegetarischen Gerichten war für jeden was dabei. Alternativ kann man auch mit den Flex-Dollar, welche auf der Studierendenkarte verbucht sind, bei Fastfood-Ketten und Cafés auf dem Campus Speisen und Getränke erwerben.

Ebenfalls auf dem Campus und unweit der Wohnhäuser befindet sich das „The Works“, das Fitness-Center der MUN. Dieses kann kostenlos genutzt werden und bietet einige Kurse, Fitnessräume, Gewichte, ein Schwimmbad und jede Menge Teamsport an. Meine Empfehlung: über Instagram informiert die Uni über stattfindende Basketball-/ und Volleyballspiele, die ihr euch am Wochenende ansehen könnt.

Fast alle Gebäude des Campus sind über die Tunnel zu erreichen. Für den Weg zum Walmart oder zur Mall in St. John’s empfiehlt es sich, den Bus zu nehmen. Viele Linien halten am University Center, von wo aus man in die Stadt oder zur besagten Shopping-Mall kommt. In dieser Mall gibt es u.a. einige Bekleidungsgeschäfte, eine Bank, ein Kino und einen Food-Court. Für Kleinigkeiten gibt es im University Center selbst eine Poststelle und einen kleinen Laden mit gemischtem Sortiment. Unweit des Campus befindet sich außerdem ein Drogeriemarkt und ein kleiner Supermarkt.

Freizeitangebote gibt es in St. John’s einige. Die Residence bietet regelmäßig Filmabende oder kreative Kurse an. Auch im International Office haben wöchentlich Treffen stattgefunden. Neben dem Angebot auf dem Campus und der Mall war besonders die George Street beliebt, an der es einige Bars und Clubs zu entdecken gibt. Als besonders außergewöhnlich ist mir ein Laden in Erinnerung geblieben, in dem wir Axtwerfen waren, sehr witzig! Außerdem waren wir bei Hockeyspielen, in der Campusbar, im Kino, in Restaurants und natürlich auf zahlreichen Wanderwegen unterwegs. In St. John’s befindet sich fußläufig von der Innenstadt der Signal Hill, von dem aus man nach Quidi Vidi gelangt, einem kleinen Fischerörtchen mit Brauerei und schönem Spazierweg um einen See. Für Wanderungen, die etwas weiter entfernt starten, ist es ratsam, sich ein Auto zu mieten. Ein Ausflug in den Gros Morne Nationalpark ist beispielsweise ein Highlight, das sich nur mit dem Auto erreichen lässt.

Wer im Wintersemester in St. John’s ist, kann zudem die Festlichkeiten anlässlich Thanksgiving und Halloween mitnehmen, die in Kanada groß zelebriert werden.

Entscheidet man sich für ein Leben auf dem Campus, ist die Teilnahme am Mealplan obligatorisch. Es werden zahlreiche Speisen angeboten, auf spezielle Ernährungsweisen oder Allergene wird allerdings keine Rücksicht genommen. In den Wohnheimen gibt es Küchen, diese können allerdings von allen Bewohnenden genutzt werden und weisen auch eine dementsprechende Sauberkeit auf. Interessant zu wissen ist zudem, dass die Zimmer im Hatcher House der Residence Kühlschränke auf den Zimmern anbieten, um beispielsweise kühlungspflichtige Medikamente lagern zu können.

Die Lebenshaltungskosten waren in Kanada etwas höher als in Deutschland. Der Preis für das Zimmer in der Residence und dem verpflichteten Mealplan in der Dining Hall musste bereits zu Anfang des Semesters komplett überwiesen werden. Der Mealplan kann für 5 oder 7 Tage gebucht werden, kostentechnisch gab es da allerdings kaum einen Unterschied. Durch diesen Mealplan gibt man allerdings vor Ort bis auf die Zeit auf Ausflügen kaum Geld für Essen aus. Drogerieartikel und Alkohol sind jedoch erheblich teurer und auch für sonstige Freizeitveranstaltungen sollte man sich etwas Geld zur Seite legen.

Rückblick und Fazit     

Vor meiner Reise nach St. John‘s war ich etwas abgeschreckt von der Abgeschiedenheit und der kleinen Größe der Stadt; diese Sorgen haben sich jedoch als unbegründet erwiesen. Gerade die Größe der Universität hat dazu geführt, dass ich mich schnell zugehörig gefühlt habe, direkt zu Anfang Anschluss fand, am Campus immer spontan bekannten Leuten begegnete und mich sehr wohl gefühlt habe. Zudem ist St. John’s umgeben von wunderschöner Natur, atemberaubenden Küstenabschnitten und tollen Ausflugszielen.

Rückblickend kann ich sagen, dass ich in St. John’s an der Memorial University die beste Zeit erlebt habe. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt, enge Freunde gefunden und zahlreiche Erfahrungen gemacht, die mir für immer in Erinnerung bleiben werden.

Lasst euch durch eure vermeintliche Einschränkung nicht abhalten, es gibt zahlreiche Hilfsangebote, die ihr wahrnehmen könnt. Ein Auslandssemester ist eine bereichernde Erfahrung, die den erhöhten organisatorischen Aufwand definitiv wert ist!

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